Buchtipp
Prof. Dr. Birger P. Priddat beschreibt in seinem neuen Buch “Homo Dyctos“ (Netzmensch) den Zusammenhang von Wirtschaft und Denken
Im Jahr Eins nach den Enthüllungen von Edward Snowden zu den Methoden der NSA im Netz steht das Internet plötzlich vor einem großen Imageschaden: Vorher die große Hoffnung auf die große Freiheit und das jederzeit sofort überall dabei sein, nachher die bedrohliche Schnüffelmaschine, die die Privatsphäre zur Lachnummer macht.
Für den Philosophen und Volkswirt der Universität Witten/Herdecke, Prof. Dr. Birger P. Priddat, ein Grund genauer hin zu sehen: Er untersucht drei Phänomene: Verhaltensänderungen des Menschen im Umgang mit und durch das Internet, Big Data und den Hochgeschwindigkeitshandel an den Börsen.
Priddat versucht hierbei, z.B. das Phänomen der Urheberrechtsverletzungen im Internet neu zu verstehen. Massenhafter und in einer juristischen Welt verbotener Download von Filmen und Musik gehört zu einem „remix“ von Bildern und Tönen, die in Blogs und Foren wie Facebook oder tumblr eine neue Art der Selbstdarstellung und der „ich-Konstruktion“ ermöglichen.
„Der Konsum ist nicht mehr nur private Aneignung, sondern nimmt netz-öffentliche Formen an. Der Konsum erfolgt durch die Anderen, denen man sich so präsentiert. Man selber konsumiert deren Anerkennung bzw. Resonanz.“ (S. 15f) Oder an anderer Stelle geht er auf die Allgegenwärtigkeit des Netzes ein: „Das Inter-Netz forciert nicht nur das Gefühl, weltweit überall zugreifen zu können (permanent access) und dabei zu sein (high level presence), sondern auch das – aus klassischer Perspektive dilettierende – Probieren neuer Konstellationen (creativity). Wahrnehmungen (und deren remixe) gelten bereits schon als Wissen“. (S. 37f)
Die Überwachung unserer Klicks bei Amazon und Co führt zu persönlichen Profilen
Die Überwachung unserer Klicks bei Amazon und Co führt zu persönlichen Profilen, die mir nur noch die Werbung zeigt, die ich auch mag und mich interessiert. Durch diese Datenberge (Big Data) verändert sich aber nicht nur mein Konsum. Indem ich viel individueller angesprochen und zum Kaufen angereizt werde, verändert sich auch ein Teil meiner Persönlichkeitsstruktur.
Zum Hochgeschwindigkeitshandel an den Börsen: Das hektische Treiben auf dem Börsenparkett, das Ballett der Händler mit ihrem Winken, das alles ist verglichen mit dem Hochgeschwindigkeitshandel der Computer eine Superzeitlupe: Zum Jahreswechsel 2012/13 konnten die Rechner in jeder Sekunde 250.000 Aktienkäufe bzw. –verkäufe durchführen, 2014 werden es vermutlich schon 400.000 sein.
Diese hohe Geschwindigkeit nutzen die Programme dazu, Käufe anzufragen und Millisekunden später wieder abzusagen, nur um zu sehen, ob jemand drauf anspringt und wo das Geld sitzt.
80% der Aufträge im Hochgeschwindigkeitshandel der deutschen Börse werden wieder storniert
Smoking und spoofing heißt das auf Börsendeutsch. 80% der Aufträge im Hochgeschwindigkeitshandel der deutschen Börse werden wieder storniert. Aber wenn man auch nur eine Aktie für einen Cent über dem Einkaufspreis wieder verkaufen kann, bringt das im großen Maßstab großen Gewinn: In der Börsenrushhour zwischen 15 und 16 Uhr wurden 2013 pro Tag 70 – 80 Millionen Wertpapiere gehandelt, macht rein theoretisch 700.000 – 800.000 Euro Gewinn täglich.
Die Deutsche Bank verdient 40 Prozent ihrer Gesamterträge im Wertpapierbörsenhandel. „Der Hochgeschwindigkeitshandel verändert unsere Vorstellungen von Akteuren und von Zeit. Und: Er führt zu einer Veränderung bei unserer Vorstellung von ‚Entscheidung‘, denn tatsächlich entscheidet die Maschine ja nicht, sie reagiert nur so schnell, dass es wie eine Entscheidung aussieht“, fasst Priddat die Auswirkung zusammen. „Wenn wir das jetzt auf uns Menschen übertragen, dann fehlt das Moment des rationalen Vergleichens und Entscheidens, was ja den Kern der Ökonomik mit dem vernünftigen und informierten Subjekt ausmacht.
Diese Rationalität entpuppt sich als Zeitluxus, weil keine Zeit mehr zum Überlegen bleibt. Das erst mal zu verstehen, ist eine bedeutsame Anforderung an die Theorien, die wir bislang noch vor uns haben.“